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Ratsantrag der CDU-Fraktion (324/18) ; Bessere Stadtluft durch flüssige Bäume


Letzte Beratung
Dienstag, 28. März 2023 (öffentlich)
Federführend
FB 36 - Fachbereich Klima und Umwelt
Originaldokument
http://ratsinfo.aachen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=26735

Beschlussvorschlag:

Der AUK nimmt den Bericht der Verwaltung zur Kenntnis.

Der Ratsantrag gilt damit als behandelt.


 

 

Erläuterungen:

Zum Ratsantrag Nr. 324/18 „Bessere Stadtluft durch flüssige Bäume“ nimmt die Verwaltung wie folgt Stellung.

Einleitung

Seit vielen Jahren wird im Bereich der Bioreaktoren geforscht und schon in den 1940er Jahren wurden ölgenerierende Algen als Möglichkeit der zukünftigen Treibstoffgenerierung und damit als kurzfristige Kohlenstofffixierung in Betracht gezogen.

Mit dem neuartigen Konzept Algen in Wassertanks mit der umgebenden Stadtluft in Verbindung zu bringen und diese Algen über den Vorgang der Photosynthese zur Bindung von CO2 aus der ihnen zugeführten Stadtluft zu bewegen, hat ein Belgrader Forscherteam in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt. Ein erster Prototyp wurde 2021 in Betrieb genommen. Dieser soll in der stark luftverschmutzten Belgrader Innenstadt die Luftqualität verbessern.

Belgrad ist eine Stadt, die durch zwei nahe gelegene, auf fossilen Energien basierende Kraftwerke stark luftverschmutzt ist. Die Belastungen mit SO2, NOx, PM10 und PM2,5 sowie höchstwahrscheinlich auch mit CO2 sind überdurchschnittlich hoch. Allein die Belastung durch Schwefeldioxid (SO2) der 16 Westbalkankohlekraftwerke übertrifft den Ausstoß der 250 EU-Kohlekraftwerke (ENV-Health, 2019; www.env-health.org/wp-content/uploads/2019/02/Chronic-Coal-Pollution-report.pdf). Auch übersteigen diese Kraftwerke im Vergleich mit der restlichen EU deutlich deren durchschnittlich proMW emittierten Werte für NOx (Stickoxide) und PM2,5 (Feinstaub). Dies führt zu erheblichen Luftschadstoffbelastungen und damit zu einer Gesundheitsgefährdung der im Umfeld lebenden Bevölkerung (vgl. auch: beyond-coal.eu/database/).

Grundlagen zum Bioreaktor LIQUID3

Der hier zur Diskussion gestellte Bioreaktor (LIQUID3) – ähnlich eines Aquariums – fasst etwa 600 Liter und wird mit eingebrachten Mikroalgen versehen. Diese Algen betreiben über Photosynthese idealer Weise eine Aufspaltung des durch die Wassersäule hindurchgeblasenen Luftstroms und des darin enthaltenen Gases CO2 in seine Bestandteile Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O2). Zusätzlich filtert sie nach Angaben des Herstellers auch Schwermetalle aus der Umgebungsluft heraus. Die zur Einblasung erforderliche Energieversorgung erfolgt über eine auf dem Dach des Reaktors installierte kleine PV-Anlage (80 W; für gefrierende Temperaturen muss eine externe Energieversorgung gewährleistet werden). Damit dies auch während der Nacht nicht zum Erliegen kommt, ist eine Batteriezelle mit installiert. Auf diversen Webseiten, die das Projekt behandeln, und laut Aussagen eines der Entwickler (Dr. Ivan Spasojevic), wird damit geworben, dass ein Bioreaktor - bzgl. der Wirkung für die CO2-Reduzierung - einen etwa 10 Jahre alten Baum oder auch 200m² Rasenfläche ersetzen kann. Eine Reinigung und Entnahme des Wassers und der Algen muss alle 6 Wochen durchgeführt werden.


Diskussion zu LIQUID3

Die Eigenschaft der Kohlenstofffixierung durch Algen im Bioreaktor soll in Belgrad dazu dienen, eine Verbesserung/Reinigung der Luft zu erzielen. Dies ist vor allen Dingen darin begründet, dass Belgrad zu den am Stärksten durch Luftschadstoffe belasteten Regionen Europas zählt. Aachen hingegen ist bei weitem nicht mehr so stark wie viele Städte und Regionen des Balkans von allgemeiner Luftverschmutzung betroffen. Die generelle CO2-Belastung ist gut aus den offiziellen Messstationen des DWD ablesbar und verzeichnet - wie auch global gesehen – in den vergangenen Jahren einen Anstieg der gemessenen Werte (www.dwd.de/DE/forschung/atmosphaerenbeob/zusammensetzung_atmosphaere/spurengase/inh_nav/klimagase_node.html). Um diesem Trend entgegen zu wirken sollten vermehrt Anstrengungen unternommen werden, den Ausstoß an Treibhausgasen wie CO2 zu verringern. Genaue Untersuchungen zu Aachen und im Vergleich dazu Belgrad gibt es aktuell nicht.

Die Reinigung der Anlage erfolgt laut Angabe des Herstellers alle 6 Wochen und bedarf geschulter Mitarbeiter*innen der Stadt oder der Eigenbetriebe. Dies müsste für einen nachhaltigen Betrieb auch in Aachen gewährleistet werden. Nach der Reinigung muss die entnommene Algenmasse in Form von Glucose (C6H12O6) abtransportiert werden und entweder aufwendig entsorgt (falls sie als Sonderabfall eingestuft wird, da sie auch Schwermetalle enthält) oder auf einen Acker aufgetragen werden, was zusätzlichen Energiebedarf (und damit CO2-Emissionen) über Transport und Trocknung mit sich bringt. Der wieder in den Kreislauf eingebrachte Kohlenstoff, kann nur schwer von Pflanzen aufgenommen werden, da diese ihren Kohlenstoffbedarf hauptsächlich aus der Umgebungsluft decken. Hinzu kommt, dass Böden nur dann als Kohlenstoffsenke also Speichermedium dienen, so lange sie nicht unter Nutzung genommen werden. Da bei der ackerbaulichen Nutzung der Böden durch die dann stattfindende Oxidation der durch die Algen entstandenen Glucose (C6H12O6) wieder CO2 entsteht, kann hier nicht von einer dauerhaften CO2-Entnahme gesprochen werden.

Auch Fragen zur Sicherheit des Glasbehälters sind abschließend nicht geklärt – da Eigenbau – und dürften im städtischen Raum, der durchaus auch von Vandalismus betroffen ist, nicht unterschätzt werde. Auch über die Frage der Reinigung bei Beschmieren der Oberflächen des Tanks müsste diskutiert werden.

Ob es durch die Algen auch zur Ausgasung von „unangenehmen“ Gerüchen kommen kann, ist bisher nicht bekannt. Sollte bei einem Wasserbehälter aber immer ein Thema der Betrachtung sein.

Wie auch schon im Ratsantrag beschrieben kann ein Bioreaktor einen Baum mit seinen vielen positiven stadtklimatischen Eigenschaften von Kühlung über Erhöhung des Luftfeuchtegehalts (Verdunstungskälte) bis hin zur Schattenwirkung (Reduzierung der Aufheizung von Flächen unter der Krone) nicht ersetzen. Auch die positiven Wirkungen der Stadtbäume auf die urbane Biodiversität sowie für die Erholung und Gesundheit der Menschen in der Stadt sind von Bedeutung. So kann ein Bioreaktor zwar kleinflächig Schatten spenden und vielleicht als Aufenthaltsort dienen, doch wirkt er weder kühlend noch ist er ein passender Lebensraum für Tiere und/oder andere Pflanzen.

Auch wird verkannt, dass zwar eine Stromversorgung durch eine PV-Anlage gewährleistet wird, eine Wärmeversorgung zum Schutz vor Gefrieren der Anlage allerdings nicht durch diese PV-Anlage abgedeckt werden kann.

Der große Vorteil eines Bioreaktors liegt in seinem Potenzial begründet an vielen Stellen eingesetzt werden zu können, so lange seine Energieversorgung und Instandhaltung gewährleistet werden kann.

Auch die Kosten eines Bioreaktors sollten mit in die Betrachtung einfließen. Neben den Anschaffungskosten und den damit evtl. verbundenen infrastrukturellen Maßnahmen (Verankerung, externe Stromversorgung) schlagen sicherlich auch Unterhalts- und Betriebskosten von mehreren 100 € bis einigen 1000 € pro Jahr zu Buch.

Zusammenfassender Vergleich von städtischem Baum vs. LIQUID3

Um die zuvor diskutierten Eigenschaften eines LIQUID3 kurz zusammen zu fassen und die Empfehlung zu erklären, soll die folgende Tabelle dienen, die zudem auch einen groben Vergleich mit einem (Stadt-)Baum zieht.

LIQUID3

(Stadt-)Baum

Anschaffungskosten

~25 000 € *1

~5000 € / Baum *2, 3

Unterhaltskosten

8-9 mal/a Reinigung á ~200 € *1

~ 75 € pro Jahr *2

Lebenszyklus

20-30 Jahre

60-100 Jahre *2

Schattenwirkung

Gering

Hoch

Kühlungsfunktion

Gering bis nicht vorhanden

Sehr hoch

CO2-Speicherung

Die ersten 10 Jahre besser als ein Baum

50-90 Jahre besser als LIQUID3

Kohlenstoffzyklus

Kurzfristige Einbringung in ackerbauliches System (Düngung), danach wieder Freisetzung

längerfristige Entnahme und potenzielle Weiternutzung (z.B. Bauholz)

Entsorgung

Klärung, ob nach BBodSchV überhaupt in Äcker eingebracht werden kann ist offen

Zweitnutzung in der Regel möglich; Bei Schädlingsbefall Weiternutzung eingeschränkt *2

Direkte ökosystemare Auswirkungen

keine

Positiv auf gesamtes urbanes Ökosystem

Aufstellmöglichkeiten

Viele

Einschränkung durch Bodenverfügbarkeit

Zusätzliche Energieversorgung

Bei Kälteperioden und im Betrieb trotz PV-Anlage nicht eindeutig abschätzbar

Keine

Tabelle 1: Gegenüberstellung der Eigenschaften eines Baumes und eines LIQUID3. Farben sollen positiv(grün)- und negativ(rot)-Eigenschaften verdeutlichen. Eigene Zusammenstellung, 2023.

*1 Angaben aus Nachfrage an Entwickler;

*2 Angaben aus der Baumschutzabteilung der Stadt Aachen;

*3 Bei Bäumen sind die Infrastrukturmaßnahmen schon beinhaltet.

Wie oben beschrieben wären im Vorfeld eines Einsatzes – auch als Pilotvorhaben – noch viele (sicherheits-)technische, finanzielle und rechtliche Fragen zu klären. Insbes. Verkehrssicherheit und Haftung (Vandalismus/Glasbruch), die Entsorgung der Algenmasse (Sondermüll/kontaminierter Boden/Verfügbarkeit von Ackerflächen), Abwicklung und Kosten der dauerhaften Unterhaltung (Fachkenntnisse, Reinigung, Herstellung bzw. Bezug der Algen etc.), evtl. Geruchsbelästigung etc.

Auch ist derzeit nicht bekannt ob an den Aachener Hochschulen Forschung in diesem Bereich stattfindet oder geplant ist; Forschung zu initiieren ist keine primäre kommunale Aufgabe. Der hier beschriebe LIQUID3 ist im Übrigen ein Prototyp in Erprobungsphase, noch keine Serienreife.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die technische Lösung der Kohlenstofffixierung über den Einsatz eines mit Algen versehenen Bioreaktors nicht die in vieler Hinsicht positiven Effekte eines Baums im städtischen Raum Aachens ersetzen kann. Dies gilt auch mit Blick auf die hohen Anschaffungs- und Unterhaltungs-/Betriebskosten. Es wird an dieser Stelle nicht ausgeschlossen, dass diese Technik durchaus Potenzial besitzt, in Zukunft dazu beizutragen Kohlenstoff in größerem Ausmaß aus der Umgebungsluft herauszufiltern. Die Verwaltung geht jedoch davon aus, dass dies eher für größere Anlagen mit viel Fläche und Volumen und damit einem besseren Kosten/Nutzen-Verhältnis der Fall sein wird. Dies wäre in Zukunft an Autobahnrändern oder in stark belasteten Industriearealen eine durchaus interessante Technik, um CO2 direkt am Entstehungsort zu binden.

Zudem lindert man mit dieser Maßnahme zwar die Symptome der atmosphärischen Kohlenstoffanreicherung, doch bekämpft leider nicht deren Ursachen.

Empfehlung

Die Verwaltung empfiehlt von einer eigenen Anschaffung eines Bioreaktors als Pilotprojekt in Aachen unter wissenschaftlicher Betreuung abzusehen und zunächst die weiteren Ergebnisse der Forschung in diesem Bereich abzuwarten. Gleichzeitig behält sich die Verwaltung vor, die hochdynamische Entwicklung in diesem Bereich weiter zu verfolgen und bei absehbar positiven Veränderungen dieser technischen Möglichkeiten einen sinnvollen Einsatz zu prüfen.

Sollten potenzielle Forschungen der Hochschulen in diesem Bereich stattfinden wäre denkbar, dass die Verwaltung bei einer geeigneten Standortwahl im städtischen Raum unterstützt.


 

 

Finanzielle Auswirkungen

JA

NEIN

x

Investive Auswirkungen

Ansatz

20xx

Fortgeschriebener Ansatz 20xx

Ansatz 20xx ff.

Fortgeschriebener Ansatz 20xx ff.

Gesamt­bedarf (alt)

Gesamt­bedarf (neu)

Einzahlungen

0

0

0

0

0

0

Auszahlungen

0

0

0

0

0

0

Ergebnis

0

0

0

0

0

0

+ Verbesserung /

- Verschlechterung

0

0

Deckung ist gegeben/ keine ausreichende Deckung vorhanden

Deckung ist gegeben/ keine ausreichende Deckung vorhanden

konsumtive Auswirkungen

Ansatz

20xx

Fortgeschriebener Ansatz 20xx

Ansatz 20xx ff.

Fortgeschriebener Ansatz 20xx ff.

Folge-kosten (alt)

Folge-kosten (neu)

Ertrag

0

0

0

0

0

0

Personal-/

Sachaufwand

0

0

0

0

0

0

Abschreibungen

0

0

0

0

0

0

Ergebnis

0

0

0

0

0

0

+ Verbesserung /

- Verschlechterung

0

0

Deckung ist gegeben/ keine ausreichende Deckung vorhanden

Deckung ist gegeben/ keine ausreichende Deckung vorhanden

Weitere Erläuterungen (bei Bedarf):


Klimarelevanz

Bedeutung der Maßnahme für den Klimaschutz/Bedeutung der Maßnahme für die

Klimafolgenanpassung (in den freien Feldern ankreuzen)

Zur Relevanz der Maßnahme für den Klimaschutz

Die Maßnahme hat folgende Relevanz:

keine

positiv

negativ

nicht eindeutig

Der Effekt auf die CO2-Emissionen ist:

gering

mittel

groß

nicht ermittelbar

Zur Relevanz der Maßnahme für die Klimafolgenanpassung

Die Maßnahme hat folgende Relevanz:

keine

positiv

negativ

nicht eindeutig

x

Größenordnung der Effekte

Wenn quantitative Auswirkungen ermittelbar sind, sind die Felder entsprechend anzukreuzen.

Die CO2-Einsparung durch die Maßnahme ist (bei positiven Maßnahmen):

gering

unter 80 t / Jahr (0,1% des jährl. Einsparziels)

mittel

80 t bis ca. 770 t / Jahr (0,1% bis 1% des jährl. Einsparziels)

groß

mehr als 770 t / Jahr (über 1% des jährl. Einsparziels)

Die Erhöhung der CO2-Emissionen durch die Maßnahme ist (bei negativen Maßnahmen):

gering

unter 80 t / Jahr (0,1% des jährl. Einsparziels)

mittel

80 bis ca. 770 t / Jahr (0,1% bis 1% des jährl. Einsparziels)

groß

mehr als 770 t / Jahr (über 1% des jährl. Einsparziels)

Eine Kompensation der zusätzlich entstehenden CO2-Emissionen erfolgt:

vollständig

überwiegend (50% - 99%)

teilweise (1% - 49 %)

nicht

nicht bekannt

 

 

Anlage/n:

Ratsantrag der CDU-Fraktion vom 25. Januar 2023; Bessere Stadtluft durch flüssige Bäume



Anlagen können jeweils im Originaldokument eingesehen werden.

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