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21. Januar 2017 IT-Planungsrat-Projekt zur Online-Bürgerbeteiligung

Am 19. + 20. Januar 2017 fand in Berlin der Design Thinking Workshop mit anschliessendem Fachdialog des IT-Planungsrats statt.

Worum geht es?

Bürgerbeteiligung kann einerseits von unten nach oben, durch Impulse aus der Bürgerschaft stattfinden, z.B. durch Petitionen, Bürgerbegehren oder Projekte wie unserAC.de und andererseits von oben nach unten durch Beteiligungsverfahren, die durch Kommune, Land oder Bund angestossen werden.

Beim Projekt des IT-Planungsrat geht es um die zweite Variante: von oben nach unten. Hierbei muss noch unterschieden werden zwischen formellen Beteiligungsverfahren, zu denen die Kommunen z.B. bei Planfeststellungsverfahren verpflichtet sind und informellen Verfahren, die auf freiwilliger Basis erfolgen.

Das Projekt: "Entwicklung einer Referenzarchitektur für e-Partizipation"
Der IT-Planungsrat, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur verbindlichen IT-Koordinierung von Bund und Ländern, hat vor einiger Zeit ein Projekt zur  Weiterentwicklung und Vereinfachung von Online-Bürgerbeteiligung ins Leben gerufen - Stichwort Open Government. "Ziel  des  Projekts  ist  es,  die  öffentliche  Verwaltung bei der  Durchführung  von  qualitativ hochwertigen  Verfahren  der  digitalen  Öffentlichkeitsbeteiligung  zu  unterstützen". (Einleitung des Zwischenberichts, s.u.)

Dazu wurden im vergangenen Jahr 38 Interviews mit Experten aus Verwaltung, IT und Zivilgesellschaft geführt - u.a. mit uns als Vertreter der Zivilgesellschaft. Projektstand und Inhalte der Interviews finden sich im kürzlich veröffentlichten Zwischenbericht (s. Anhang).

Am 19. und 20. Januar 2017 ging es mit dem Design Thinking Workshop und dem anschliessenden Fachdialog in die nächste Phase des Projekts. Die anwesenden Vertreter aus Politik und Verwaltung sahen sich ausdrücklich in der Rolle der Zuhörenden.

Design Thinking Workshop
Beim Design Thinking Workshop wurden gemeinsam mit Studenten zunächst die Wünsche unterschiedlicher Persönlichkeitstypen (z.B. der 59jährige Ingenieur, die 18jährige Friseurin, der mittzwanzigjährige ITler, die engagierte Mutter mit wenig Zeit etc.) hinsichtlich Möglichkeiten und Formen von Onlinebeteiligung ergründet. Davon ausgehend sollten anschliessend Ideen zur Umsetzung entwickelt, beschrieben und vorgestellt werden ("Use cases").

Unsere Arbeitsgruppe stellte sich z.B. die Möglichkeit der Nutzung von Virtual- bzw. Augumented Reality vor, um Bürger bei Stadtplanungsprojekten anhand des virtuellen "Erlebens" verschiedener Szenerien zu beteiligen.

Die Form des Design Thinkings hat sich als eine sehr kreative, offene und effektive Art und Weise der Ideenentwicklung und -erarbeitung gezeigt - ausdrückliches Lob hier auch an die Arbeitsgruppenmoderation.

Fachdialog
Beim Fachdialog wurden zunächst die Ergebnisse bzw. "Prototypen" der veschiedenen Arbeitsgruppen des Design Thinking Workshops vorgestellt.

Anschliessend stellte Oliver Voigt vom zentralen IT-Management des Landes Schleswig-Holstein das Portal BauleitplanungOnlineBeteiligung von Schleswig-Holstein - BOB-SH - vor. Dort lassen sich alle Bebauungspläne des Landes einsehen, man kann direkt Stellung dazu nehmen und sich über das Ergebnis der Stellungnahme benachrichtigen lassen.

Im nachfolgenden Vortrag wurden zwei Stadtplanungsprojekte mit Minecraft vorgestellt: BerlinMinecraft - Stadtplanung von Berlin Mitte und Baukraft, wo es darum ging, Ideen für die Brachflächen in der Gropiusstadt zu entwickeln.

Am Nachmittag fanden verschiedene Workshops zu den Fragen der zu errichtenden Referenzarchitektur statt:
- Einbindung von Social Media
- Darstellung + Vermittlung komplexer Informationen
- Open Source + Open Data
- Auswertung von Beteiligungsverfahren
- Umgang mit Verfahren, die der Schrifterfordernis unterliegen, d.h. wo eine Beteiligung nur mit Unterschrift gültig ist

Und das Fazit?

Die beiden Tage waren inhaltlich und von der Art und Weise der sehr engagierten und kreativen Zusammenarbeit her sehr inspirierend, haben neue Fragen aufgeworfen und viele Ideen gebracht.

Vorstellung des Zwischenberichts
Als Vorteile von Online-Beteiligung werden hier die Vereinfachung des Einholens von Stimmungsbildern, das Sammeln von Ideen und Vereinfachung der Verwaltungsarbeit durch formalisierte digitale Datenbestände. Etwas kurz kommt meiner Meinung nach der Wunsch nach Austausch mit den Bürgern - zumindest bei informellen Beteiligungsverfahren. Der Subtext, "wir müssen das rechtlich machen", bzw. "wir möchten Informationen oder Stimmungslagen der Bürger erhalten" ist hier mitunter lauter vernehmbar als die Haltung, Interesse an einem gemeinsamen Ringen um die bestmögliche Lösung und einem Austausch auf Augenhöhe zu haben - dies ist aber mein höchst subjektiver Eindruck, der nicht richtig sein muss.

Filterung
Erstaunlich war, dass viele der Studenten aus dem Workshop den Wunsch nach Vereinfachung in Form von Filterung von Inhalten hinsichtlich ihres persönlichen Profils geäussert haben. Das Beteiligungssystem sollte demnach lernen, was der Person gefällt und im Wesentlichen passende Inhalte anzeigen.

SingleLogin
Auch gab es den Wunsch nach einer einzigen (staatlichen?) Stelle, die sämtliche Benutzerdaten verwaltet, so dass man für alle sozialen Plattformen und eine mögliche Beteiligungsplattform nur noch ein einziges Login haben muss. Dies beinhaltete auch den Wunsch nach einem gesamtdeutschen Portal für Bürgerbeteiligung anstelle kommunaler bzw. ländergeführter Internetauftritte unter der Voraussetzung, dass es die Möglichkeit zur regionalen Filterung von Einträgen gibt.
Gleichzeitig gab es aber auch konträr dazu den Wunsch nach hohen Datenschutzstandards, der Möglichkeit auf Anonymität und Datensparsamkeit.

Vereinfachung vs. Verkürzung = Visualisierung?
Bei einer Vereinfachung von Beteiligungsverfahren gibt es Skepsis, dass diese zu einer reinen Like-/Dislike-Demokratie führen könnten. Eine mögliche Lösung, komplexe Inhalte und Themen verständlicher und einfacher zu vermitteln wird in der Nutzung von Visualisierungstechniken gesehen - angefangen bei normalen Grafiken, über Virtual Reality bis hin zu Augumented Reality und Spielen wie z.b. Minecraft.

Strukturierte und lesbarere Dokumente
Umfangreiche Dokumente, die zur rechtssicheren Durchführung formeller Beteiligungsverfahren zur Verfügung gestellt werden müssen, sollten gut strukturierbar sein, so dass man sich über Oberthemen bequem zu den Unterbereichen und Seitenthemen durchklicken kann. Dies setzt jedoch die Einführung und Nutzung eines allgemeinverbindlichen und geeigneten Dokumentenformats voraus.

Open Source + Open Data
Einen erstaunlich breiten Raum haben erfreulicherweise auch die Themen Open Source und Open Data eingenommen. Auch der Bedarf an offenen Schnittstellen zur Übergabe der Daten an andere Systeme wurde hervorgehoben.

Einblicke in den Alltag der Verwaltung
Die Skepsis einiger Verwaltungen gegenüber Online-Beteiligungsverfahren resultiert mitunter aus der einfachen Befürchtung, dass dadurch eine immens hohe Zahl an Stellungnahmen auf eine immens kleine Zahl an Mitarbeitern trifft. Jede Stellungnahme in einem formellen Beteiligungsverfahren muss gelesen und mit einer eigenen Rückmeldung veröffentlicht werden. Dabei muss bei den Inhalten immer auch z.B. der Datenschutz berücksichtigt werden.
Als Beispiel wurde genannt, dass bei einem Verfahren zum Bau einer Stromtrasse die Stellungnahme kam "Wenn Sie die Trasse bauen, töten Sie mein ungeborenes Kind". Die Stellungnahme muss veröffentlicht werden, die Information, dass dort offensichtlich jemand schwanger ist, unterliegt aber dem Datenschutz.

Gerade bei formellen Verfahren sitzen die Mitarbeiter der Verwaltung häufig zwischen den Stühlen, das Verfahren (und damit auch die Informationsphase) rechtssicher durchzuführen, um anschliessende Formklagen zu vermeiden und auf der anderen Seite, möglichst viele Bürger durch Information zur Beteiligung aufzurufen (Stichwort: komplexe Inhalte rechtssicher und verständlich aufbereiten).

Auch das teilweise bestehende rechtliche Schrifterfordernis ist oft hinderlich - "Schriftform ist der Tod der Bürgernähe" sagte dazu Hr. Jaud aus dem BMI Baden-Württemberg. Viel wichtiger als die Unterschrift sei meistens der Inhalt von Stellungnahmen.

Hinsichtlich einer Online-Lösung für formelle Beteiligungsverfahren bedeutet das, dass auch online der rechtliche Verfahrensweg abgebildet werden muss - was bezüglich des Wunsches nach Vereinfachung zumindest eine grosse Herausforderung darstellt.

Ein anderes Thema ist, dass auch Verwaltungsmitarbeiter Nutzer von Software sind - zur Schaffung von Akzeptanz bei der Einrichtung elektronischer Verfahren muss daher auch auf Nutzerfreundlichkeit auf Seiten der Verwaltung geachtet werden.

Und was wird nun aus dem ganzen Prozess?

Das ist eine gute Frage - Matthias Trénel von ZebraLOG erkundigte sich, ob nun mit diesem Projekt nach 10 Jahren Studien, Konsultationen und Fachdialogen auch ein Massnahmenpaket das Licht der Welt erblicken wird. Die Antwort von Björn Fleischer vom MIK NRW in der Geschäftsstelle Open.NRW lautete, man wisse es derzeit nicht. Das Projekt endet im Herbst 2017 mit einem Abschlussbericht, der die Ergebnisse des Projekts als Leitfaden zusammenfassen wird. Bis dahin werden knapp 300.000 € ausgegegeben worden sein (Zwischenbericht S.13).

Insofern: der Wunsch nach umfangreicherer und einfacherer Beteiligung der Bürger ist auf Seiten der Bürger und auch vieler Fachleute gross - inwieweit das Projekt ein Feigenblatt im Sinne von "Wir tun was" oder ein ernstgemeintes Vorhaben seitens einer Politik ist, die Interesse an einem Austausch mit ihren Bürgern hat, muss sich erst noch zeigen. Zudem stehen jetzt erst einmal Wahlen an.


Weitere Infos:

Projektbeschreibung "Entwicklung einer Referenzarchitektur für e-Partizipation"
Veranstaltungsbeschreibung des Design Thinking Workshops + Fachdialogs

Design Thinking als Arbeitsmethode:
"Design Thinking basiert auf der Annahme, dass Probleme besser gelöst werden können, wenn Menschen unterschiedlicher Disziplinen in einem die Kreativität fördernden Umfeld zusammenarbeiten, gemeinsam eine Fragestellung entwickeln, die Bedürfnisse und Motivationen von Menschen berücksichtigen und dann Konzepte entwickeln, die mehrfach geprüft werden." (wikipedia.de)

Zwischenbericht als PDF im Anhang


Kategorien:
Bürgerbeteiligung , In eigener Sache

Quelle: Eigener Bericht