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28. Oktober 2016 Studie zu Tihange im Städteregionstag vorgestellt

Die StädteRegion Aachen hat eine Studie in Auftrag gegeben, die mögliche radiologische Auswirkungen eines Versagens des Reaktordruckbehälters im KKW Tihange 2 für die DreiländerRegion Aachen unter 3000 verschiedenen realen Wetterbedingungen analysiert.

Professor Dr. Wolfgang Renneberg vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien und der Hauptautor der Studie, Dr. Nikolaus Müllner, stellten die zentralen Ergebnisse jetzt bei einer Sitzung des Städteregionstages vor. Die Auswirkungen würden nicht nur die DreiländerRegion Aachen, sondern über NRW hinaus weite Teile des Bundesgebietes, der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs betreffen.

Mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit würde in der Region der Grenzwert für die effektive Dosis zum Schutz von Einzelpersonen um das dreifache überschritten, der für den Normalbetrieb von Anlagen zulässig ist (=1 Millisievert). Dieser Wert ergibt sich aus der Strahlenschutzverordnung.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Aachener Region von einem radioaktiven Niederschlag betroffen wäre, der in Tschernobyl zur Umsiedelung führte, liegt demnach bei 10 Prozent. Bei ungünstiger Wetterlage wären die Auswirkungen in dieser Region mit den Städten innerhalb der 20-Kilometer-Sperrzone von Fukushima vergleichbar.

Die Studie geht von einem Versagen des Reaktordruckbehälters aus. Die Ergebnisse der Studie basieren auf Expertenbeurteilung der öffentlich verfügbaren Dokumente.

Die Expertenmeinungen, ob der Reaktordruckbehälter auch unter Unfallbedingungen sicher ist und ein Versagen desselben ausgeschlossen werden kann, gehen auseinander. Die deutsche Reaktorsicherheitskommission hat Zweifel daran, dass die für den Betrieb der Anlage geforderten und in den Nachweisen ausgewiesenen Sicherheitsreserven tatsächlich vorhanden sind.

Eine Bitte der Bundesregierung, die betroffenen Kraftwerke bis zur Klärung offener Sicherheitsfragen herunterzufahren, lehnten die belgischen Behörden ab.

Renneberg und Müllner betonten ausdrücklich, dass die Studie nicht die Wahrscheinlichkeit eines Versagens des Reaktordruckbehälters in Tihange 2 bewertet.


Medizinische Auswirkungen

Professor Dr. med. Alfred Böcking (Facharzt für Pathologie und Mitglied der Ärzte zur Vermeidung eines Atomkrieges) hatte einleitend ausgeführt, dass ionisierende Strahlung aus Radioaktivität über verschiedene Mechanismen krank machen kann. Eine medikamentöse Unschädlichmachung oder Ausscheidung von einmal in den Körper aufgenommener Radioaktivität ist nicht möglich.

Laut Böcking seien akute Strahlenschäden in unserer Region wegen der Entfernung zum Glück nicht zu erwarten.

Der Mediziner wies in seinem Vortrag ausdrücklich darauf hin, dass uns Radioaktivität nach einem AKW-Unfall mit Staubteilchen aus der Luft erreichen würde und somit eingeatmet und verschluckt werden könne. In Räume mit dicht geschlossenen Fenstern und Türen dringen radioaktive Partikel aus der Luft kaum ein.

Als Vorsorgemaßnahme rät der Facharzt, sich durch die rechtzeitige, richtige Einnahme von Jodtabletten vor Jod 131 zu schützen. Strahlenbedingter Schilddrüsenkrebs kann damit fast vollständig verhindert werden. „Hochdosiertes Jod ist übrigens rezeptfrei in Apotheken erhältlich und hat keine Verfallszeit“, so Böcking. Personen über 45 Jahren sollten sich vorsorglich von ihrem Hausarzt bestätigen lassen, dass ihre Schilddrüse gesund ist, ehe sie hochdosiertes Jod einnehmen. Zudem schützen FFP3-Atemmasken vor 95 Prozent der radioaktiven Partikel in der Atemluft. Diese Masken sind für rund 2,- Euro pro Stück im Handel erhältlich.


Risiko Flucht

Böcking warnt ausdrücklich davor, eine radioaktiv kontaminierte Region fluchtartig zu verlassen, „weil man dabei wahrscheinlich viel mehr radioaktive Partikel aufnimmt, als wenn man zu Hause deren Vorbeiziehen abwartet“ - die Menschen wären unmittelbar betroffen.


Wie geht es weiter?

Das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft wird in Kürze über einen Resolutionsvorschlag entscheiden, der ebenfalls die sofortige Schließung von Tihange 2 und Doel 3 fordert.

Die Studie wird Gegenstand einer weiteren Klage der StädteRegion Aachen gegen Tihange 2. Maastricht (NL), Wiltz (Luxemburg) und die StädteRegion Aachen werden diese Klage einreichen. Der Klage werden sich die Fraktionsvorsitzenden aller im Städteregionstag vertretenen Fraktionen und der Personalratsvorsitzende der StädteRegion Aachen als „natürliche Personen“ anschließen.


Weitere Infos

In der Diskussion: Das AKW Tihange