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Prüfauftrag der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Würselen vom
[17.06.2020](si010.asp?YY=2020&MM=06&DD=17 "Sitzungskalender 06/2020 anzeigen"
) zum Thema "Anlage von Streuobstwiesen"


Letzte Beratung
Dienstag, 01. September 2020 (öffentlich)
Federführend
Fachdienst 4.3
Originaldokument
http://ratsinfo.wuerselen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=5407

Der Rat der Stadt nimmt die Ausführungen der Verwaltung zur Kenntnis.

gez. Nelles . gez. von Hoegen .

Bürgermeister Erster u. Techn. Beigeordneter

gez. Püll .

Sachbearbeiterin

 

 

Darstellung des Vorgangs:

Streuobstwiesen sind ein traditionsreiches Kulturgut; auf Grünlandflächen stehen in einem Abstand von mindestens 10 m voneinander und in noch größerem Abstand zu den Grundstücksgrenzen hochstämmige Obstbäume, idealerweise seltener, alter Obstsorten, die an regionale Klima- und Standortverhältnisse angepasst sind und somit helfen, das Genreservoir dieser wertvollen Sorten zu erhalten. Sie sind in der Regel sehr artenreich – vorausgesetzt, sie werden fachgerecht gepflegt, entwickeln sie sich zu einem belebenden und gliedernden Landschaftselemente mit hohem Biodiversitätsindex: Zahlreiche Tiere, insbesondere baumbrütende Vogelarten aber auch Fledermäuse, Schmetterlinge und seltene Pflanzenarten finden auf und in ihnen einen geeigneten Lebensraum. Häufig entstehen auch wertvolle ökologische Wechselbeziehungen zwischen Obst- und Grünlandbestand.

Streuobstwiesen prägen und bereichern das Landschaftsbild, ganz besonders während der Baumblüte im Frühjahr, und eignen sich zudem zur Vernetzung von Biotopen. Damit sich Gartenrotschwanz und Neuntöter in der Streuobstwiese wohl fühlen, sollte diese mindestens 3 ha groß sein. Aber auch kleinere Flächen bereichern die Landschaft und bieten vielen Tieren ein Zuhause.

Allerdings ist nicht nur das Finden geeigneter Flächen, sondern auch die Pflege von Streuobstwiesen eine Herausforderung: Sie brauchen

humusreiche, tiefgründige und gut durchlüftete, lehmige Böden

leichte Hanglagen sind ideal; ein feuchter Standort in Niederungen ist nicht günstig

am besten eignen sie sich als Ortsrandeingrünung, wie es früher der Fall war, jedoch nicht zu nah an viel befahrenen Straßen

eine Zuwegung, die geeignet ist für landwirtschaftliche Fahrzeuge, muss möglich sein, optimal ist eine Schafbeweidung

außerdem ist eine windgeschützte, sonnige Lage von Vorteil

Die Pflegeintensität steigt nach dem Pflanzen bis zum 10. Standjahr jährlich, besonders Apfelbäume brauchen regelmäßigen Schnitt. Erfahrungen auch im Stadtgebiet Würselen zeigen, dass Obstbäume, die bspw. als Ersatzpflanzung oder im Rahmen einer Kompensationsmaßnahme gesetzt wurden, aber deren Pflege nicht geregelt war, bereits nach wenigen Jahren erhebliche Schädigungen aufweisen oder bereits abgängig sind. Diese Bäume erfüllen ihre Wertigkeit für den Artenschutz nicht einmal ansatzweise, im Gegenteil: Fäulnis durch unkontrollierte, nicht behandelte Astausbrüche und andere Erkrankungen, die sich infolge der Schwächung des Baumes ansiedeln, können benachbarte, noch gesunde Bäume ebenfalls schädigen; die ersehnte Artenvielfalt bleibt aus, weil die Bäume nicht mehr blühen und/oder keine Früchte mehr reifen lassen können. Fehlende Pflege des Unterwuchses führt zu Sukzession und stört ebenfalls massiv die gesunde Entwicklung von Obstbäumen.

In ihrem Prüfauftrag wünscht sich die CDU-Fraktion, geeignete Flächen im Stadtgebiet zu suchen für die Anlage von Streuobstwiesen und jährlich mindestens 100 Bäume anzupflanzen; dazu sollte folgendes bedacht werden:

  • Generell gilt, dass ein Obstbaum-Hochstamm mindestens 100 m2 Platz benötigt, Landschaftsverbände begrenzen die Anzahl auf 55 Bäume pro Hektar (= 10.000 m2). Für 100 Obstbäume benötigt man also nahezu 20.000 m2.
  • In der als Anlage 1 beigefügten Übersicht hat die SEW städtische Flächen zusammengestellt, die eventuell für die Anlage von Streuobstwiesen und Freiflächen-Photovoltaikanlagen in Frage kommen. Von diesen Flächen erfüllen einige aufgrund des Standorts (Bodenbeschaffenheit) und aufgrund der Lage bereits nicht die Anforderungen für eine langfristig sich gut entwickelnde Streuobstwiese.
  • In Bezug auf die sonnige Lage konkurrieren potentielle Streuobstwiesenflächen mit den Parzellen für Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen. Des Weiteren suchen die Landwirte im Stadtgebiet, die noch Vieh oder Pferde halten, händeringend Grünflächen, die sie bewirtschaften können, um Heu zu gewinnen; die Lage hat sich in den vergangenen drei Jahren mit den ausgesprochen trockenen Sommern noch verschärft, weil das Gras nicht wächst.
  • Während eine Bewirtschaftung bei Freiflächen-Photovoltaikanlagen i.d.R. nur durch Schafbeweidung sinnvoll ist, schließt sich bei Streuobstwiesen die maschinelle Mahd nicht aus: Sie sollte allerdings 2mal pro Jahr nicht übersteigen, um die Biodiversität zu fördern! Das bedeutet, dass der bewirtschaftende Landwirt nicht nur Flächenverluste hinnimmt durch Anpflanzung der Bäume, sondern auch durch den Mahd-Ausfall. Besonders förderlich für die Entwicklung der Streuobstwiesen und der Biodiversität ist jedoch auch hier eine schonende Schafbeweidung!
  • Andererseits gibt es auch für Landwirte Fördermittel, wenn sie auf eigenen Flächen, z.B. Hauswiesen, Obstbäume setzen; dazu die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen:

„Die Pflege der Obstbäume sowie Ergänzungspflanzungen können im Rahmen des Vertragsnaturschutzes gefördert werden: Maximal 55 Bäume/ha á 19 € bei einer Flächenmindestgröße von 0,15 ha mit einem Baumbestand von mindestens 10 Bäumen (Jahres-Hektar-Satz maximal 1045 €). Hierbei ist die Kombination mit weiteren Vertragsnaturschutzpaketen der extensiven Grünlandnutzung unter Anrechnung der Prämien möglich. Für einmalige Pflegemaßnahmen in sanierungsbedürftigen Altbaumbeständen (Instandsetzungsschnitte) oder Neuanlagen kann eine investive Förderung gemäß Art. 57 Richtlinie (Erhaltung und Verbesserung des ländlichen Erbes im Bereich Naturschutz) erfolgen. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) stellt im Rahmen der Pflanzgutförderung für die Neuanlage oder Ergänzung von Obstwiesen auf Antrag kostenloses Pflanzmaterial bereit. Im Einzelfall kann möglicherweise auch über regionale Sonderprogramme von Streuobstinitiativen, Heimatverbänden, Naturschutzverbänden oder Biologischen Stationen finanzielle Unterstützung gewährt werden. Die Anlage von Streuobstwiesen ist darüber hinaus auch als produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahme (PIK) möglich.(…) Mit öffentlichen Mitteln geförderte Neuanpflanzungen von Obstbäumen stellen gesetzlich geschützte Landschaftsbestandteile im Sinne des § 47 Landschaftsgesetz NRW dar.

  • Pro Obstbaum fallen inklusive Anschaffungspreis, Bodenaushub, 3-Pflock-Anbindung mit Bindematerial, Pflanzschnitt, Manpower und Verbissschutz ca. 200,- € Kosten an. Jährlich müssten also für 100 Obstbäume rund 20.000,- € im Haushalt bereitgestellt werden. Kosten für die dauerhafte intensive Pflege sind darin noch nicht enthalten!
  • Fördermöglichkeiten gibt es mehrere: Neben der bereits erwähnten Förderung der Landwirte bei Anlage solcher Streuobstwiesen, ist auch eine Unterstützung durch Biologische Station, Naturschutzverbände und die seitens der biologischen Station vor einigen Jahren in der StädteRegion ausgebildeten Obstbaumwarte denkbar. Weiterhin möglich sind ggf. Patenschaften durch Schulen, Kitas, Bürgerinitiativen, etc.

Allerdings erfordert die Logistik und das Management der ehrenamtlichen „Kümmerer“ ebenfalls enorm viel Personalkapazität, die derzeit leider nicht vorhanden ist. Aber ohne eine Gesamtkoordination ist ein Projekt in einer solchen Größenordnung nicht möglich.

  • Die besondere Herausforderung bei der Anlage von Streuobstwiesen ist die Kontinuität der Pflege: Wenn die Bäume regelmäßig geschnitten worden sind und nach zehn Jahren in die Ertragsphase übergehen, zeigen sich im wahrsten Sinne des Wortes die Früchte der jahrelangen Arbeit: Obst fällt je nach Sorte von Juli bis z.T. in den November hinein an; es muss gesammelt werden und verarbeitet und sollte nicht ausschließlich auf dem Grünland vergammeln. Aber auch das ist eine Herausforderung und oft zeigt sich nach ein paar Jahren, dass die Menge an Obst die Pflegenden überwältigt. Das Obst der Tafel zur Verfügung zu stellen ist eine gute Idee, aber der Pflückaufwand ist z.T. auch groß, da mit Leitern, Teleskop-Pflückern, etc. geerntet wird; das Fallobst ist nicht lange haltbar und kann selbst für die Tafel nicht oder nur sehr eingeschränkt verwendet werden. Die Erarbeitung einer Verarbeitungskette für das Obst ist also ebenfalls Voraussetzung für ein gut funktionierendes Streuobstwiesen-Management.
  • Der Charakteristik der Streuobstwiesen entsprechend ist dieser Biotoptyp besonders geeignet, einen Übergang von Wohnbebauung über Hausgärten bzw. Hauswiesen der Landwirte zur offenen (Agrar-) Landschaft zu schaffen: Alte Luftbilder zeigen eindrucksvoll, dass einst in Würselen, Bardenberg und Broichweiden ein nahezu lückenloser Streuobstwiesengürtel um die Bebauung herum zur offenen Landschaft bestanden hat – allerdings war die Bevölkerung zur damaligen Zeit auf das Obst zur Eigenversorgung angewiesen.

Aufgrund der hohen Bedeutung für den Artenschutz ist es wert, für die Anlage von Obst-Hochstammbäumen zu werben und besonders auch private Besitzer*innen von größeren Hausgärten und Hauswiesen dafür zu gewinnen. Allerdings sollte dieses Bewerben immer konform gehen mit einer guten Information über die Pflege der Bäume und über die Möglichkeiten der Hilfe (z.B. über Obstbaumwarte) – hier sollte keine Anzahl pro Jahr festgelegt werden, sondern nur so viele Bäume gesetzt werden, dass eine fachgerechte Pflege gewährleistet werden kann – und zwar langfristig.

Streuobstwiesen-Bestand:

  • Im Ökokonto am Duffesheider Weg bestehen bereits seit 20 bzw. 21 Jahren zwei Obstwiesen; die ältere davon wurde leider Ende 2018 um die Hälfte dezimiert durch den erforderlichen Platzbedarf für einen Kreisverkehr im Zuge des Straßenausbaus der L223 zwischen Birk und Herzogenrath.
  • Ebenfalls in Bardenberg, im Bebauungsplangebiet 158, liegt eine öffentliche Streuobstwiese mit mehr als 20 Bäumen: Hier zeigt sich, dass die Bäume zum Teil erhebliche Schädigungen aufweisen und sich z.T. sehr schlecht entwickelt haben. Mangelnde Pflege, weil der Aufwand mit der dürftigen Personalkapazität der KDW nicht bewältigt werden kann und häufige Astabrisse, weil vermutlich ohne Leiter versucht wird an das Obst zu kommen, haben der Fläche sehr zugesetzt.
  • Ebenfalls öffentlich zugängig ist die Streuobstwiese im Stadtgarten: Gut ist hier die Hanglage und zumindest etwas Schutz durch eine fast lückenlos umlaufende Weißdornschnitthecke. Für einige Zeit hat hier ein Obstbaumwart gepflegt, der allerdings bemängelte, dass die Wiese immer auch öffentlich zugängig bleiben muss, da eine Fußwegeverbindung vom Stadtgarten zur Aachener Straße über sie führt.
  • Im Baugebiet „Elchenrather Weide“ liegt eine weitere öffentliche Obstwiese, die ca. 4.400 m2 mit mehr als 20 jungen und alten Obstbäumen umfasst.
  • Im „Bürgerwald“, einer ca. 22.000 m2 großen Fläche im Weidener Feld, können die Würselener Bürgerinnen und Bürger einen Obst- oder Nussbaum (inkl. Esskastanien) setzen, der einem Ereignis oder einer Person gewidmet ist. Diese Fläche ist nun bereits voll, soll den Bürgerinnen und Bürgern Würselens wieterhin die Möglichkeit gegeben werden, einen gewidmeten Baum zu setzen, muss eine neue Fläche gefunden werden. Die Pflege liegt in den Händen der KDW.
  • Die größten zusammenhängenden Streuobstwiesenflächen im Stadtgebiet liegen nördlich entlang der L223 im Bereich Euchen: Die Flächen gelten als Kompensation im Zuge der Straßenbaumaßnahme Ortsumgehung Euchen, sind im Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen (Straßen NRW) und umfassen mehr als 56.000 m2; für die Pflege ist die biologische Station der StädteRegion Aachen verantwortlich.
  • Östlich der Kreuzung Hauptstraße/Willy-Brandt-Ring liegt eine über 25.000 m2 große Parzelle, von der 18.665 m2 Streuobstwiese sind – eine Kompensationsmaßnahme der StädteRegion Aachen für den Ausbau der K30. Entlang des Willy-Branst-Rings liegen noch zwei weitere kleinere Parzellen, die auf dem Luftbild ebenfalls aussehen wie Streuobstwiesen.
  • In der Verlängerung der Käthe-Kollwitz-Straße/Ecke Kerstengasse liegt eine weitere private, nahezu 7.600 m2 große Wiese mit Obst-Hochstämmen.
  • Weitere private Streuobstwiesen liegen am Dommerswinkel und möglicherweise noch an anderen, auf den Luftbildern nicht erkannten Stellen im Stadtgebiet.

Aussicht:

  • Im dritten Abschnitt der Ökokontomaßnahme Duffesheider Weg wird im Spätherbst eine neue Streuobstwiese auf ca. 7.500 m2 angelegt. Die langfristige Pflege ist bereits durch zwei Obstbaumwarte gesichert.
  • Es gibt Flächen, die für die Anlage von Obstwiesengürteln besonders geeignet sind: Hierzu zählen bspw. Die Flächen an der Dobacher Straße, die bereits in der Vergangenheit zur Diskussion standen, für die Anpflanzung von Pappeln als langfristiger Ersatz für die gefallenen Pappeln am Kapellenfeldchen, die wiederum die größte Saatkrähenkolonie der nördlichen StädteRegion beheimaten; allerdings waren die Eigentumsverhältnisse nicht ideal, da die SEW bzw. die Stadt nicht im alleinigen Besitz der Flächen ist. Hier sollte langfristig geprüft werden, ob durch Teilungen/Abkäufe klare Eigentumsverhältnisse geschaffen werden können, um die Flächen für die Anpflanzung eines Streuobstwiesengürtels nutzbar zu machen. Das Gesetz sieht auch ein Notwegerecht nach § 917 BGB vor, falls die Zuwegung aufgrund der Lage der Parzellen schwierig werden könnte. In diesem Fall ist möglicherweise über die Zahlung einer kleinen Geldrente die Nutzung der Parzellen dennoch möglich.
  • Ob zukünftige Ausgleichsflächen die Anlage von Streuobstwiesen beinhalten, ist abhängig von der Lage der Fläche, vor allem aber auch von den besonderen Anforderungen an den Artenschutz: So liegt der Schwerpunkt derzeit auf dem Erhalt geeigneter Flächen für den Feldvogelschutz, bei der die Anpflanzung von Bäumen kontraproduktiv ist.

 

 

Anlage/n:

1 - tabellarische Auflistung der derzeit für die Anlage von Streuobstwiesen oder Freiflächen-Photovoltaikanlagen geeignete Flächen, die sich im Eigentum der Stadt Würselen befinden; erstellt von der SEW am 10.08.2020

2 – Prüfauftrag der CDU-Fraktion vom 17.06.2020


Anlagen können jeweils im Originaldokument eingesehen werden.

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Weitere zu dieser Vorlage gefundene Ortsangaben

  • Hauptstraße
  • Dobacher Straße
  • Aachener Straße
  • Kapellenfeldchen
  • Birk
  • Dommerswinkel
  • Willy-Brandt-Ring
  • Kerstengasse
  • Käthe-Kollwitz-Straße
  • Duffesheider Weg

Beratungsfolge

Dienstag, 01. September 2020Sitzung des Rates der Stadt Würselen

Art
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Rat
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geändert beschlossen
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