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05. Dezember 2016 Bericht zum Asylpolitischen Forum 2016

Bestandsaufnahme und Blick ins nächste Jahr in Sachen Flüchtlingsarbeit.

Vom 2.-4.12.2016 fand in Schwerte das 30. Asylpolitische Forum statt. Die Zusammenfassung ist ohne Anspruch auf Vollständigkeit, u.a. da wir nur einen der fünf gleichzeitig laufenden Workshops besuchen konnten.

Themen des diesjährigen Treffens waren u.a.:

- Sichere Herkunftsstaaten
- Das Konstrukt "Gute und schlechte Bleibeperspektive"
- Flüchtlingspolitik des Landes NRW
- Amtsermittlungsgrundsatz der Ausländerbehörden

Sichere Herkunftsstaaten:

Unter dem Strich wurde konstatiert, dass die Chancen für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten nach § 29a AsylG (Liste) in Deutschland ein Bleiberecht zu erhalten schlecht sind. Auch der Gang zum Gericht ist in diesen Fällen nicht wirklich erfolgreich.
Die Überprüfung der Fluchtgründe im individuellen Einzelfall ist verbesserungswürdig.

Es wird vor allem bemängelt, dass - insbesondere bei Asylanträgen von Angehörigen der Roma vom Westbalkan - der Überprüfung von kumulativer Verfolgung nach Artikel 9b (S. 7) der europäischen Qualifikationsrichtlinie nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird. Dieser Artikel besagt, dass auch eine Vielzahl von Diskrimierungen zusammengenommen als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention angesehen werden kann.

An dieser Stelle sei auch verwiesen auf das "Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren in Deutschland - Standards zur Gewährleistung der asylrechtlichen Verfahrensgarantien" (PDF)

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Staaten Marokko, Algerien und Tunesien auf absehbare Zeit zu sicheren Herkunftsstaaten deklariert werden, wurde als eher niedrig eingeschätzt.

"Bleibeperspektive"

Kurz zusammengefasst hat der Begriff der (guten und schlechten) Bleibeperspektive erstmals im Herbst 2015 Eingang in den deutschen Wortschatz gefunden. Das Konstrukt wurde von Claudius Voigt von der GGUA als "postfaktische Rechtsauslegung" bezeichnet, dem es inhaltlich und verbal entgegenzutreten gilt.

Mehr dazu findet sich in seinem Artikel "Die »Bleibeperspektive« - Wie ein Begriff das Aufenthaltsrecht verändert" (PDF, Asylmagazin 08/2016).

Flüchtlingspolitik des Landes NRW

Mit Burkhard Schnieder (Abteilungsleiter MIK NRW) und Thorsten Klute (Staatssekretär MAIS NRW) waren dankenswerterweise auch Vertreter von Politik und Verwaltung des Landes NRW anwesend, um sich der Diskussion zu stellen.

Unter dem Strich läuft es auf zwei Punkte hinaus - Förderung von Integrationsprojekten einerseits und möglichst viele Abschiebungen andererseits
Für Integrations-/Teilhabe-Projekte, Schulunterricht und die Versorgung von Geflüchteten stellt das Land Geld bereit, u.a. mit dem Ziel, dass Integrationsmaßnahmen für Personen mit "guter Bleibeperspektive" (also Menschen aus Syrien, Irak, Eritrea, Iran und Somalia) bereits vor Abschluss des Asylverfahrens beginnen können.

Ansonsten wird das Hauptthema in Zeiten von Landes- und Bundestagswahlkampf "Abschiebung" lauten. Der einzige Punkt, wo auch das MIK über eine wohlwollende bzw. öffnende Auslegung nachdenkt, ist das Thema Ausbildungsduldung.

Eine weitere Hauptaufgabe sieht das MIK "im aktuellen politischen Klima" in der "Mäßigung" der Gesetzesvorhaben des Bundes über den Bundesrat.

Amtsermittlungsgrundsatz der Ausländerbehörden

Im Rahmen des Asylpakets II vom 13. März 2016 wurde die Anerkennung von Erkrankungen als Abschiebehindernis entscheidend erschwert. Grundlage ist nun die Vermutung, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen. Das Gegenteil der Vermutung muss der Ausreisepflichtige durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung nachweisen. Liegt diese nicht rechtzeitig vor oder wird als unzureichend abgelehnt, darf die Ausländerbehörde die Schilderungen des Betroffenen nicht berücksichtigen (§ 60a Abs. 2c und d AufenthG).

An dieser Stelle weist Volker Maria Hügel von der GGUA darauf hin, dass es lohnend sein könnte, mit Hilfe der  kommunalen Politik den Ausländerbehörden den Rücken zu stärken, sich auf ihren Amtsermittlungsgrundsatz zu berufen und im Zweifel den Sachverhalt von Amts wegen noch einmal eigenständig untersuchen zu lassen. Dabei betont er ausdrücklich die menschlich schwierige Lage, in der sich die Mitarbeiter im Ausländeramt befinden, wenn sie einen kranken Menschen vor sich sehen, die gesundheitlichen Gründe aber nicht berücksichtigen dürfen.

Sonstiges

Es wurde über fehlerhafte bis schlampige Bescheide vom BAMF berichtet und von nicht den Richtlinien entsprechenden Anhörungen. Dabei wurde explizit darauf hingewiesen wie wichtig die schriftliche Dokumentation von Gesprächen über Fluchtgründe und Fluchtrouten ist, die vor der eigentlichen Anhörung mit Flüchtlingsberatern, Anwälten etc. geführt werden.

Zum Thema Wohnsitzauflage durch das neue Integrationsgesetz stellte sich die Frage nach eventueller Klärung der Auflage durch Gerichte. Die Wohnsitzauflage ist laut Gesetz explizit nur erlaubt, wenn sie der Verbesserung der Integration dient. Was ist, wenn die Integrationschancen sich durch eine ausgesprochene Wohnsitzauflage nachweislich nicht verbessern?

Ein weiterer Augenmerk wird im nächsten Jahr auf der Beobachtung / Begleitung des Entwurfs für eine Dublin-IV-Verordnung auf europäischer Ebene liegen. Wen das Thema interessiert, findet hier weitere Infos dazu:
Übersicht über die Vorschläge der EU-Kommission von Mai 2016
Erklärung von ProAsyl dazu aus dem Juni 2016
Hintergrundartikel aus den Blättern für deutsche und internationale Politik (10/2016)

Zu guter Letzt wies Stefan Keßler vom Jesuiten Flüchtlingsdienst Berlin ausdrücklich darauf hin, dass alle (ehrenamtlich) Aktiven in der Flüchtlingsarbeit dringend darauf achten sollten, gut zu sich selbst zu sein und das Leben auch zu genießen.

Evangelische Akademie Villigst

Kategorien:
Flüchtlingshilfe

Quelle: Eigener Bericht