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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge; hier: Umsetzung des Gesetzes zur
Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder
und Jugendlicher


Letzte Beratung
Donnerstag, 19. November 2015 (öffentlich)
Federführend
Fachbereich 2
Originaldokument
http://ratsinfo.wuerselen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=3417

Darstellung des Vorgangs:

Kriege, Unruhen, Konflikte, Armut, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen veranlassen Millionen Menschen, ihre Heimat zu verlassen und Schutz zu suchen: sie gelten als Flüchtlinge. Die meisten Kinder und Jugendlichen flüchten mit ihren Eltern und oder Familienangehörigen. Aber die Flucht gelingt nicht immer, Familientrennungen sind nicht selten. Zahlreiche Kinder und Jugendliche fliehen aber auch alleine, weil die Familien nicht über die nötigen finanziellen Mittel für eine Flucht der gesamten Familie verfügen. Sexueller Missbrauch, häusliche Gewalt, Zwangsverheiratung oder Einsatz als Kindersoldaten können Gründe sein, warum Kinder und Jugendliche sich alleine auf die Flucht begeben (vgl. Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen der Landschaftsverbände Rheinland sowie Westfalen-Lippe, 2013, S.5)

r alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gelten besondere Schutzpflichten und Rechte. Diese ergeben sich unter anderem aus der Un-Kinderrechtskonvention, dem Haager Kinderschutzübereinkommen, der Brüssel IIa Verordnung, der EU Aufnahmerichtlinie, der EU Qualifikationsrichtlinie und dem Grundgesetz und dem SGB VIII.

Alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge unter 18 Jahren haben einen Anspruch auf Inobhutnahme als vorläufige Maßnahme der Jugendhilfe zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (§42 Abs. 1 Ziffer 3 i. V. m. §87 SGB VIII). Auf eine konkrete Kindeswohlgefährdung kommt es in diesen Fällen nicht an; diese ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass der minderhrige Flüchtling unbegleitet ist.

In der Stadt Würselen haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder vereinzelt einige wenige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut genommen und in der Folge mit Maßnahmen der Jugendhilfe betreut. Es waren gleichzeitig meist nicht mehr als vier Flüchtlinge, so dass die Situation gut zu bewältigen war. Die Jugendlichen waren zunächst alle männlich und meist kurz vor der Volljährigkeit (teilweise sogar über 18 Jahre alt, aber aus Guinea stammend werden diese erst mit 21 Jahren volljährig). Sie wurden in einer Wohnung in der Kaiserstraße beziehungsweise in einer extra dafür angemieteten Wohnung untergebracht und intensiv pädagogisch von einem Jugendhilfeanbieter betreut.

Nunmehr ist in den letzten Wochen die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge deutlich angestiegen, so dass das Jugendamt jede Woche vor die Aufgabe gestellt wird, ausländische Kinder und Jugendliche in Obhut zu nehmen und zeitnah zu versorgen. Mittlerweile sind auch weibliche Minderhrige dabei z.B. aus Syrien, teilweise mit eigenem Kind oder schwanger, was bedeutet, dass die Anforderungen an die Jugendhilfe, schnell gute Lösungen, sowohl in Bezug auf die Unterbringung als auch auf die sozialpädagogische Betreuung zu finden, drastisch gestiegen sind und noch weiter steigen werden.

In der bisherigen Praxis mit den minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen ist es in zahlreichen Kommunen zu enorm hohen Zahlen gekommen, die nicht mehr zu handhaben waren und zahlreiche Kommunen an den Rand des Möglichen gebracht haben.

Am 01.November 2015 tritt das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher in Kraft. In diesem neuen Gesetz wird u.a. das Verfahren zur Verteilung von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen (UMA) geregelt. Zudem enthält das Gesetz Vorschriften zur Kostenerstattung nach dem Belastungsausgleich gemäß § 89d Absatz 3 SGB VIII.

Im Rahmen der Verteilung von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen ist die vorläufige Inobhutnahme dieser Kinder und Jugendlichen gesetzlich verankert worden (§42 a SGB VIII). Im Rahmen dieser vorläufigen Inobhutnahme hat das Jugendamt zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen, ob die Durchführung des Verteilungsverfahrens kindeswohlgefährdend ist, ob sich eine verwandte Person im In- oder Ausland aufhält, ob eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen Kindern und Jugendlichen erforderlich ist und ob der Gesundheitszustand des betroffenen Kindes oder Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens zulässt (§42a Abs. 2 SGB VIII)

Wird das Verteilungsverfahren durchgeführt, ist das Jugendamt, welches vorläufig in Obhut genommen hat, verpflichtet, die Begleitung und die Übergabe des Kindes an das für die Inobhutnahme zuständige Jugendamt sicherzustellen. Ebenso müssen die personenbezogenen Daten weitergegeben werden (§42a Abs.5 SGB VIII). Hält sich eine verwandte Person im In- oder Ausland auf, hat das Jugendamt auf die Familienzusammenführung hinzuwirken (§42a Abs.5 SGB VIII).

r die vorläufige Inobhutnahme ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält. Die örtliche Zuständigkeit für die Inobhutnahme richtet sich nach der Zuweisungsentscheidung gemäß

§ 42b Abs. 3 Satz 1 der nach Landesrecht zuständigen Stelle. (§88a SGB VIII)

Diese Zuständigkeiten gelten analog auch für die Vormundschaften und Pflegschaften (§88a Abs. 4 SGB VIII)

Die Rahmenbedingungen und das Verfahren r die Verteilung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger ist in § 42b SGB VIII geregelt. Auch hier gelten die bereits erwähnten Faktoren (s.o.), die immer unter Betrachtung des Kindeswohls zu berücksichtigen sind.

Um das Verteilungsverfahren vernünftig durchführen zu können, müssen die örtlichen Träger durch werktägliche Mitteilungen sicherstellen, dass die nach Landesrecht für die Verteilung zuständigen Stellen über die für die Zuweisung nach §42b Abs.3 erforderlichen Angaben unterrichtet sind (§42b Abs. 6 SGB VIII).

r die Jugendämter ergeben sich als erste Schritte vor allem die Aufgabe zur Mitwirkung an der werktäglichen Ermittlung der Datengrundlagen (Verfahren 1- Erhebung zur Erfassung der Quote) sowie die Mitwirkung an der landesinternen und nderübergreifenden Verteilung (Verfahren 2- Erhebung zur Erfassung der Verteilung). Hierzu wurde beim Bundesverwaltungsamt eine „ Bundesstelle“ und bei den Ländern „ Landesstellen“ eingerichtet. Alle Jugendämter machen täglich bis 10.00 Uhr eine Meldung der jugendhilferechtlichen Zuständigkeiten per E Mail und nach einem vorgegebenen Muster an die Bundesstelle (Verfahren 1). Hierbei wird zunächst nur die Gesamtzahl der minderjährigen unbegleiteten Personen angegeben, die am Tag der jeweiligen Meldung in der Zuständigkeit des jeweiligen Jugendamtes sind. Am 02.11.2015 ist per Mail der Bestand der „Altfälle“ zum 31.10.2015 24.00 Uhr und diejenigen UMA, die ab dem 01.11.2015 angekommen sind, unterschieden in

-vorläufiger Inobhutnahme

- Inobhutnahme

- Anschlussmaßnahme

- angemeldete Verteilung

an die Bundesstelle mitzuteilen.

Im Verfahren 2 melden die Jugendämter innerhalb von 7 Werktagen nach der Aufnahme diejenigen UMA, die verteilt werden sollen/können, bei der Landesstelle mit personenbezogenen Eckdaten an. Dazu wie und in welcher Form die Meldungen zu tätigen sind, werden in der 44. Kalenderwoche nähere Informationen erwartet.

In §42c SGB VIII ist die Aufnahmequote geregelt. Auf der Grundlage der gegenwärtig geplanten landesgesetzlichen Umsetzung ergeben sich je nach möglichen Gesamtzahlen aller in NRW gemeldeten jungendhilferechtlichen Zuständigkeiten für UMA und ehemalige UMA die Hilfen für junge Volljährige erhalten, folgende Planungsgrößen:

Landesweite Gesamtzahl 5.000: ca. 1 UMA auf 3500 Einwohner

Landesweite Gesamtzahl 7500:ca. 1 UMA auf 2350 Einwohner

Landesweite Gesamtzahl 10000:ca. 1 UMA auf 1750 Einwohner

Es ist davon auszugehen, dass sowohl die Datenerhebung zur Gesamtzahl der UMA in NRW als auch die landesinterne als auch länderübergreifende Verteilung gerade zu Beginn nicht ganz störungsfrei erfolgen wird, so dass hier von allen Beteiligten ein hohes Maß an Kooperations und Kommunikationsbereitschaft aufzubringen ist.

Vom Jugendamt der Stadt Würselen wurden im Rahmen der 5-tägigen Testphase am 27.10.2015 folgende Zahlen an die Bundesstelle gemeldet:

Anzahl

Jugendhilferechtliche Zuständigkeit

7

r UMA (Inobhutnahme / Clearing / Vorläufige Maßnahmen)

6

r UMA (HzE / Anschlussmaßnahmen)

0

r junge Volljährige (ehem. UMA)

Mit allen in Würselen aufgenommenen UMA ist gemäß den Empfehlungen aus der Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in NRW der Landschaftsverbände Rheinland sowie Westfalen-Lippe (März 2013) verfahren worden.

Das Verfahren:

  1. Erstkontakt und Erstbefragung

Es ist festzustellen in einem persönlichen Gespräch mit Dolmetscher, ob die eingereiste Person ausländisch und ohne Begleitung (weder personensorgeberechtigt noch erziehungsberechtigt) ist. Ferner muss über eine Alterseinschätzung die Minderjährigkeit festgestellt werden. Die letztendliche Entscheidung, ob Minderjährigkeit angenommen wird, trifft das Jugendamt. Ist dies eine vorläufige Annahme, müssen im anschließend eingeleiteten Clearingverfahren mit geeigneten Maßnahmen (zeitliche Dauer eines Schulbesuchs oder Ausbildung, Einordnung in die Familienkonstellation, äeres Erscheinungsbild, gültige Ausweispapiere oder Identitätsnachweise) die Zweifel ausgeräumt werden.

  1. Inobhutnahme

Entsprechend des Ergebnisses erfolgt die Inobhutnahme. Die Inobhutnahme kann wegen des hoheitlichen Charakters nicht auf andere Personen oder Institutionen übertragen werden. Sie muss durch das Jugendamt erfolgen.

  1. Unterbringung und Betreuung

Die jugendgerechte (pädagogische) Betreuung und Versorgung ist nach den Standards des SGB VIII sicherzustellen, entweder bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform.

  1. Pflicht zur Bestellung eines Vormunds

Das Jugendamt hat unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. „Unverzüglich“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass innerhalb von 3 Werktagen das Familiengericht einzuschalten ist.

  1. Clearingverfahren im Rahmen der Inobhutnahme

Das Clearingverfahren beginnt unmittelbar nach der Inobhutnahme. Ziele des Clearingverfahrens sind die Klärung von familiären und soziokulturellen Hintergründen, des gesundheitlichen, psychischen und geistigen Entwicklungsstandes, des emotionalen Zustands und einer eventuellen traumatischen Belastung. Im Weiteren Klärung der persönlichen Ressourcen, des schulischen Bildungsstands, der Fluchtgeschichte und der aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten

  1. Weiteres Vorgehen nach Kinder- und Jugendhilferecht

Die Inobhutnahme ist nach Abschluss des Clearingverfahrens zu beenden. Es erfolgt die Übergabe an den Vormund. Im Anschluss erfolgt die Gewährung von Hilfen nach dem SGB VIII, da in der Regel der UMA einer weiteren jugendhilferechtlichen Unterstützung bedarf.

Das hier beschriebene Verfahren ist in jedem Einzelfall sehr zeitaufwendig und muss in den meisten Fällen sehr ungeplant und spontan gewährleistet werden, da die Ankunft der UMA meist kurzfristig bekannt wird. Zudem ist es in der Städteregion derzeit nahezu unmöglich, noch Plätze für UMA in geeigneten Jugendhilfeeinrichtungen zu bekommen. Hier sind zunehmend innovative Lösungen gefragt, die trotzdem dem Unterstützungsbedarf der Betroffenen gerecht werden.

gez. Arno Nelles

gez. Werner Birmanns

rgermeister

Betreuendes Vorstandsmitglied

gez. Herbert Zierden

gez. Dagmar van Heiss

Fachbereichsleiter

Sachbearbeiterin

gez. ./.

gez. ./.

Stadtkämmerer

Mitzeichnung RPA


Anlagen können jeweils im Originaldokument eingesehen werden.

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Beratungsfolge

Donnerstag, 19. November 2015Sitzung des Jugendhilfeausschusses

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